Ein Gespräch zwischen zwei Gleichgesinnten: Beate Heuermann & Michael Hillmann
Mit einer Buchempfehlung auf LinkedIn war der Anfang gemacht. Was folgte, war ein spontaner Zoom Call über die Landesgrenzen der Schweiz und Deutschlands. Denn das verbindende Thema hatten wir gleich gefunden: Vielbegabung. Oder wie es auch heißt: Scannerpersönlichkeit.
Wir, das sind:
Beate Heuermann, aus dem Kreis Herford stammende, langjährige Trainerin und Coach, inzwischen als „Ihre Impulsgeberin für ein Leben voller Selbstvertrauen“ und Buchautorin in Horgen am Zürichsee zu Hause.
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Und: Michael Hillmann, ehemaliger Fußball-Geschäftsführer im Land Brandenburg, Publizist und mittlerweile in Dresden angekommen, um Menschen bei persönlichen und beruflichen Herausforderungen WIEDER AUF KURS zu verhelfen.
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Bereits in unserem ersten Gespräch bekamen wir eine Ahnung davon, wie vielschichtig die Materie ist und dass man hier auch mit Themen wie Hochbegabung und Hochsensibilität in Berührung kommt. Dass wir zugleich die Inspiration verspürten, unsere Erfahrungen weiteren Menschen zu vermitteln, führte unlängst zu einem zweiten Call. Einen Tag, nachdem Beate an einem Webinar mit Katrin Stigge, einer weithin anerkannten Expertin in Sachen Vielbegabung, teilgenommen hatte…
Michael: Und, Beate, wie war es?
Beate: Ich war gespannt auf das Webinar, wusste ja nicht, was mich da erwartete. So traf ich unterschiedliche Menschen. Gleichgesinnte – mit Vielbegabung vertraut. Und im lockeren Austausch in der Runde merkte ich – die kennen das, was mich da so umtreibt. Ich fühlte mich endlich verstanden. Und es war tatsächlich ein Auftakt, der mich inspiriert hat. Ich habe interessante Menschen kennengelernt. Mit ersten habe ich den Austausch schon fortgesetzt. Mit Patric hatte ich einen Ideen-Impuls-Austausch. Einen Moment daraus haben wir über LinkedIn geteilt. Mit Stefanie bin ich im persönlichen Kontakt und wir haben beide das Gefühl einer total guten Schwingung zwischen uns. Mir ist an diesem Abend bewusst geworden, dass ich mich noch in der Annäherungsphase zu dem Thema befinde. Ich habe zahlreiche Fragen: Was bedeutet Vielbegabung? Wie kann ich konstruktiv mit den sich daraus ergebenden Herausforderungen umgehen? Viele Antworten hierauf habe ich noch nicht gefunden.
Das kann ich gut verstehen. Vieles ist mir auch erst bewusst geworden, nachdem ich mich länger damit befasst habe.
Wie kamst Du denn mit dem Thema in Berührung?
Mir kommt ein Schlüsselerlebnis aus dem Kindergarten in Erinnerung, damals in der Zeit der DDR. Unsere Erzieherin berichtete uns von der Entwicklung der Neutronenbombe und dass die BRD uns damit bedrohen würde, weil sie ein böser Staat sei. Diese Aussage ging mir nicht mehr aus dem Kopf. „Onkel Jürgen aus Duisburg ist doch aber immer lieb zu mir“, sagte ich zu meinen Eltern, als ich ihnen zu Hause hiervon erzählte. Daraufhin bat meine Mutter die Kindergärtnerin um eine Aussprache. Diese war ganz verdutzt, weil noch nie ein Kind in dem Alter sich mit solch einer Frage beschäftigt hätte. Ja, ich war schon immer ein Mensch, der neugierig war und Dinge hinterfragt hat.
Und als Du eingeschult wurdest, konntest Du wahrscheinlich auch schon lesen und schreiben.
Ja, das stimmt sogar und, zugegeben, ich war auch Klassenbester. Aber ich war kein Streber und habe nie mit meinen Leistungen geprahlt. Eher habe ich Schülern Nachhilfeunterricht gegeben, denen das Lernen schwerer fiel als mir.
Es scheint typisch für viel- und hochbegabte Menschen zu sein, dass sie sich mit ihrer eigenen Größe schwertun. Ich habe dies zunächst an meiner Tochter erkannt. Sie ist hochbegabt und aus unserem Umfeld hörte ich immer, wie leicht das dann in der Schule geht und ich stolz sein dürfte. Das bin ich auch. Ich habe aber ebenso die Herausforderungen erkannt, die sich für sie ergaben – sei es in der Schule oder im sozialen Leben. Eines Tages brachte meine Tochter ein Buch mit nach Hause, „Handbuch für Eltern hochbegabter Kinder“. Dies sei, so sagte sie grinsend, die Gebrauchsanweisung für den Umgang mit ihr. Danach ist mir nach und nach immer mehr bewusst geworden. Kognitiv war sie weit, die Persönlichkeit braucht aber ihre Zeit zum Reifen. So gab es einige Turbulenzen in ihrem Leben – mehrere Schulwechsel, die es zusätzlich schwer machten, Freunde zu finden.
Menschen, die hiervon nicht betroffen sind, kennen diese Herausforderungen in der Regel nicht. Welche waren dies denn bei Euch?
Dass ich erkannt habe, wie schwer es ist, sich einem Umfeld anzupassen, welches in der Regel nicht diese Begabungen hat, was ja auch in der Natur der Sache liegt. Und dass letztlich etwas dran ist, dass Kinder die Intelligenz ihrer Mutter erben. Dies selbst in mir zu erkennen, war aber ein langer Weg. Denn ich habe mich nie als besonders intelligent empfunden und dieses – so nenne ich es – „Sich-kleiner-machen-Syndrom“ mit mir herumgeschleppt. Dabei heißt es in einem Zitat, welches Nelson Mandela nach seiner Befreiung verlesen und das auch mich sehr geprägt hat:
„Unsere tiefste Angst ist es nicht, ungenügend zu sein. Unsere tiefste Angst ist es, dass wir über alle Maßen kraftvoll sind. Es ist unser Licht, nicht unsere Dunkelheit, das wir am meisten fürchten. … Und indem wir unser eigenes Licht scheinen lassen, geben wir anderen Menschen unbewusst die Erlaubnis, das Gleiche zu tun. Wenn wir von unserer eigenen Angst befreit sind, befreit unser Dasein automatisch die anderen.“
Sich seiner Fähigkeiten wirklich bewusst zu werden, kann tatsächlich ein sehr langer Prozess sein, zumal Vielbegabte eben immer auf der Suche sind, Neues in sich zu entdecken und zu lernen. Ich möchte in diesem Zusammenhang auch etwas zu meinen Erfahrungen mit der Anpassung sagen. Wenn man wie ich ein höflicher, friedliebender Mensch ist und Glaubenssätze mitbekommen hat wie zum Beispiel „Man widerspricht Älteren nicht“, dann führt das irgendwann zu inneren Konflikten. Denn auf der einen Seite möchte man zu einer Gemeinschaft dazugehören, was ein Grundbedürfnis von uns Menschen ist. Auf der anderen Seite steht das Bedürfnis, sich selbst zu entfalten. Und da ich ständig daran arbeite, mich persönlich weiterzuentwickeln, habe ich beispielsweise im Berufsleben irgendwann Grenzen gespürt.
Diesen inneren Konflikt kenne ich auch. Wie war das bei dir?
Ich denke etwa an Grenzen, die sich aus meiner Rolle im System ergaben. Als Geschäftsführer war ich mehr oder weniger derjenige, der im Hintergrund dafür zu sorgen hatte, dass alles funktioniert. Damit kam ich lange Zeit auch gut zurecht, denn ich bin ein eher introvertierter Mensch und mir geht es in erster Linie immer um die Sache. Nach und nach wollte ich aber gern mehr bewegen, sah auch meine Verantwortung darin, beispielsweise Wertediskussionen zu führen, Strukturen zu modernisieren oder Fragen der Mitarbeitermotivation zu thematisieren. In dieser Phase habe ich viel über Macht und Hierarchien gelernt und was bestimmte Mechanismen mit den Menschen machen.
Ich habe Ähnliches erfahren, als ich in meiner Anstellung als Trainerin Bewerbungskurse gab, aber das Gefühl hatte, dies sei nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Ich sah, was in der Arbeit mit den Teilnehmenden alles möglich gewesen wäre, durfte dies aber nicht umsetzen. Eine Zeit lang akzeptiert man diese Einschränkungen, aber irgendwann kannst Du einfach nicht mehr. Dass ich dann einen persönlichen Crash erlebte, war im Nachhinein folgerichtig.
Möchtest Du mehr hierüber erzählen?
Unbedingt, denn ich möchte mit meinen Erfahrungen anderen Menschen helfen, dass es soweit nicht kommen muss. Aber ich kann es hier nur kurz anreißen, weil so Vieles passiert ist in den Jahren. Ich bin seit 14 Jahren geschieden und alleinerziehend. Ich habe noch einen jüngeren Sohn aus einer kurzen Beziehung. Seit Jahren mache ich also diesen Spagat zwischen Beruf und Kindern. Kinder, die nicht in der Norm sind – hochbegabte Tochter und sehr sensibler Sohn. Beruflich war ich im Hamsterrad. Es ging nicht so voran, wie ich wollte. Ein innerer Konflikt, mit dem ich nicht umzugehen wusste. Der dritte Gerichtsprozess mit meinem Ex-Mann zerrte. Vor dreieinhalb Jahren war dann der Stecker rausgezogen bei mir. Ich habe den U-Turn geschafft. Und fühle mich heute kraftvoller und immer mehr bei mir angekommen. Vom Kopf in den Körper bringen, ist der Weg, auf dem ich mich seitdem bewege. „Herz mit zwei Ohren“ ist ein schönes Kompliment, welches ich bekommen habe. Etwas, was mich als Mensch und Trainerin auch auszeichnet.
Lebenskrisen waren auch für mich die Herausforderungen, an denen ich am meisten gewachsen bin. Im Privaten war dies vor allem der Tod meiner Mutter nach jahrelanger schwerer Krebserkrankung, in dessen Folge ich mich intensiv mit mir selbst beschäftigt und viele Lehren gezogen habe. Beispielsweise darüber, warum ich so lange allein gelebt hatte. Die wesentliche Erkenntnis für mich war, dass ich ein bindungsängstlicher Mensch gewesen war. Als ich dies aufgelöst hatte, lernte ich auf wundersame Weise ausgerechnet auf meinem Lieblingsdampfer auf der Elbe meine jetzige Frau Sandra kennen.
Und dabei blieb es nicht.
Nein, für mich war klar, dass ich aus meiner Heimat, der Niederlausitz, wegziehen und mit ihr in ihrem Wohnort in der Nähe von Dresden zusammenleben werde. Denn mein Herz war schon immer hier und ich hatte in mir auch bereits seit längerem den Wunsch verspürt, in dieser Region meine neue berufliche Zukunft aufzubauen.
Natürlich in der Selbstständigkeit.
Ja, auch dies wurde mir bald bewusst. Denn ich wollte – wie Du – meine Erfahrungen mit persönlichen und beruflichen Herausforderungen an andere Menschen weitergeben. Dass diese sehr verschieden sind, war in der Positionierung meiner Firma ein nicht ganz einfaches Unterfangen. Denn ich berate sowohl im wirtschaftlichen wie im psychologischen Kontext, bin Ansprechpartner für Menschen mit persönlichen Anliegen wie auch mit geschäftlichen Themen, arbeite als Redner und Publizist, binde die Dampfschifffahrt auf der Elbe in meine Arbeit ein…
… sicher alles Ausprägungen Deiner Vielbegabung…
Vermutlich ja. Und mir lag es von Anfang an am Herzen, neben meinen Erfahrungen und dem authentischen Umgang mit meiner Biografie ein hohes Maß an Professionalität zu gewährleisten. Nachdem ich in den 1990er Jahren bereits ein Studium zum Diplom-Wirtschaftsingenieur abgeschlossen hatte, habe ich im Vorfeld meiner Existenzgründung ein weiteres Studium zum Personal- und Business-Coach absolviert, danach auch eine Ausbildung zum Mediator. Darüber hinaus habe ich sehr viele Fachbücher gelesen und ohnehin bilde ich mich ständig weiter. So habe ich beispielsweise mit Anfang 40 noch im Selbststudium eine weitere Fremdsprache – Französisch – erlernt.
Aus der Vielfalt Deiner Begabungen eine Marke für Dein Business zu entwickeln, scheint tatsächlich nicht leicht gewesen zu sein.
Daher bin ich sehr dankbar, mit Frank Barthen und seiner Agentur in Dresden zusammengekommen zu sein. Er hat in unserer gemeinsamen Beratung optimal herausgearbeitet, dass das Kernanliegen all meiner Angebote ist, Menschen in herausfordernden Lebenssituationen WIEDER AUF KURS zu verhelfen. Und diese Marke lässt mir auch den Freiraum, falls sich in Zukunft weitere Bedarfe ergeben sollten, die zu diesem Kontext passen.
Das hört sich alles so an, als ob Du in Deinem Leben angekommen bist.
Unbedingt. Ich bin privat und beruflich angekommen. Und gleichzeitig immer weiter auf dem Weg.
Angekommen bin ich noch nicht, aber ich weiß, wie es sich anfühlt. Denn ich bin zum einen ein sehr intuitiver Mensch, spüre schon vorher, wohin sich etwas entwickeln wird und obwohl ich in der Schule die Leistungskurse in Mathematik und Deutsch belegt habe, war ich nie dieser Zahlen-Daten-Fakten-Mensch, auch wenn ich damit umgehen kann. Zum anderen ist es tatsächlich mein Weg, im wahrsten Sinne des Wortes zu mir selbst zu finden. Sich selbst zu vertrauen bedeutet im Grunde genommen, dem Selbst zu vertrauen. Selbstbewusstsein, Selbstliebe und Glaubwürdigkeit bilden für mich eine Einheit auf diesem Weg. Es ist nicht nur mein Weg, sondern unser aller Weg. Und darin unterstütze ich Menschen. Sich selbst finden, dem Selbst vertrauen, das Potenzial leben – und einfach glücklich sein.
Eine ausgeprägte Intuition ist tatsächlich eine Ressource, die Vielbegabte kennzeichnet. Ich kann dies selbst bestätigen. Hast Du denn eigentlich irgendwann einmal Tests anfertigen lassen, zum Beispiel einen IQ-Test?
Dies nicht, denn dieser stellt ausdrücklich auf Hochbegabung ab. Dies haben wir seinerzeit bei meiner Tochter festgestellt. Aber mir haben die Tests von Katrin Stigge bei meiner Selbstwahrnehmung geholfen. Denn ich habe tatsächlich eine leichte Ausprägung in der Vielbegabung festgestellt, Ähnliches übrigens auch in der Hochsensibilität, die mit der Vielbegabung zumeist in engem Zusammenhang steht.
Die Tests von Katrin Stigge habe ich auch durchgeführt. Demnach ist bei mir eine starke Ausprägung in der Vielbegabung festzustellen, dazu habe ich eine Tendenz zur Hochsensibilität.
Und hast Du denn einen IQ-Test absolviert?
Ja, und der Wert hat mich sehr erfreut. Heute zu diesen Veranlagungen stehen zu können, ist ein schönes Gefühl. Gerade auch, weil hinter mir ein langer Weg liegt. Eine Kollegin, die mich jahrelang kennt, nannte mich einmal eine „graue Maus“ und hierüber kann ich inzwischen schmunzeln. Heute suchen immer mehr Menschen Halt und Orientierung bei mir und ich gehe daher auch bewusst mit meinen Themen in die Öffentlichkeit.
Zum Beispiel als Buchautor.
Ja, und dies ist etwas, was ich mir auch immer gewünscht habe. Nach meinem Bildband „Zurück in die Kindheit – Eine Seelenreise auf der Elbe“ habe ich ja mit 44 Autoren aus Deutschland, der Schweiz und Österreich das Buch „Wozu ich geboren wurde – Menschen. Ihre Lebenswege. Ihre Mission.“ herausgegeben, in dem sich sehr interessante Biografien finden. Mehrere Autoren zählen auch zu viel- und hochbegabten oder hochsensiblen Menschen, die mit ihren Erfahrungen anderen Menschen zur Selbsterkenntnis verhelfen können.
Ich habe schon immer viel gelesen. Bei Sabine Asgodom bin ich irgendwann auf den Begriff „Scannerpersönlichkeit“ gestoßen. In der Beschreibung habe ich mich wiedergefunden. Mit dem Begriff „Vielbegabung“ habe ich ihn erst jetzt wirklich verbunden. Ich hatte mich in meiner Herkunftsfamilie oft als schwarzes Schaf gefühlt. Irgendwann gefiel mir das nicht und ich habe es umgewandelt in das weiße Schaf. Doch ich bin nicht entweder – oder, sondern viel und dazu farbig. Als buntes Schaf passt es nun für mich. Jahrelang war „Scannerpersönlichkeit“ ein Fluch. Mehr und mehr wird sie zum Segen – und das stimmt mich glücklich.
… zumal Du mittlerweile selbst vor der Veröffentlichung eines neuen Buches stehst…
Ja. „Be yourself – auf Kurs in ein erfüllendes Leben“ ist der Buchtitel und das Motto, welches ich meinen Kundinnen und Kunden vermitteln möchte. Und wenn es immer mehr umsetzen können, werden wir nach und nach eine Welt kreieren, die liebevoller und heiler als die bisherige sein wird.
Dem ist meines Erachtens nichts hinzuzufügen.
Beate Heuermann & Michael Hillmann
auch zu lesen auf https://www.linkedin.com/pulse/vielbegabung-vom-fluch-zum-segen-michael-hillmann/?trackingId=9kki0eB9Sd6InhE7FzZjWw%3D%3D